von Jörg Kramer, Stv. OV-Vorsitzender

SPD fordert eine gemeinsame Schule,
in der alle Kinder ganztägig individuell gefördert werden.


Der Ausbau des dreigliedrigen Schulsystems durch die niedersächsische Landesregierung ist nur noch mit ideologischer Starrhalsigkeit zu erklären!

Die meisten Länder, vor allem die erfolgreichen in der Pisa-Studie haben eine gemeinsame Schule für alle Kinder bis zum 8.-10. Jahrgang in den letzten Jahrzehnten!!! immer weiter entwickelt.

Es gibt nur noch 20 Länder in Europa mit einem gegliederten Schulsystem - 16 davon liegen in Deutschland!

Die internationalen Studien belegen immer wieder, dass in sortierenden Schulsystemen

  • die Ungleichheit von Bildungs- und Berufschancen zementiert und noch verschärft wird,
  • der Schulerfolg von der Herkunft der Kinder abhängig ist
  • unterdurchschnittliche Leistungsergebnisse erzielen.

Warum baut die niedersächsische CDU - Landesregierung dennoch ein aus dem Kaiserreich stammendes gegliedertes Schulsystem weiter aus, wenn die Mängel dieses Systems seit Jahren in jeder internationalen Studie, von allen Bildungsprofessoren, mittlerweile auch vom Bundespräsidenten, von der Wirtschaft und vielen anderen offen kritisiert werden?

Sie glauben eben immer noch, dass die Bildungschancen jedes Einzelnen schon bei der Geburt feststehen sollten und dass entgegen aller Untersuchungsergebnisse gute Leistungsergebnisse nur in früh sortierten Schulformen - Abschaffung der schulformunabhängigen Orientierungsstufe - erzielt werden könnten.

1. Der Mythos von der begabungsgerechten Sortierung der Kinder

Behauptung:

Im Alter von 9 und 10 Jahren ließe sich bereits erkennen und entscheiden, welche Kinder je nach ihren theoretischen, praktischen, organisatorischen u.a. Begabungen die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium erfolgreich besuchen könnten. Deswegen der Ausbau der praktischen Bildungsinhalte in der Hauptschule, weil sie doch auf praktische Berufe (Handarbeit) vorbereiten soll. Folgerichtig können die praktischen zugunsten der theoretischen Bildungsinhalte im Gymnasium gekürzt werden, weil sie auf theoretische Berufe (Kopfarbeit) vorbereiten soll. Die Unsinnigkeit dieses Gedankengebäudes lässt sich mit der folgenden Fragestellung leicht erkennen, die jeder beliebig erweitern kann: Wer möchte von einem ausschließlich theoretisch begabten Chirurg operiert werden?

Die so genannten „Spätentwickler“ hätten später auch die Möglichkeit, einen höheren Schulabschluss anzustreben, wenn mit 10 Jahren eine falsche Entscheidung getroffen wurde.

Hut ab vor denen, die es trotz aller Verletzungen und Beschämungen „Du bist zu dumm für höhere Schulformen“ schaffen, aber was ist mit denen, die keine Unterstützung vom Elternhaus hatten, die zu frühzeitig - in einer sich selbst erfüllenden Vorhersage - durchs Rost gefallen sind, die verinnerlicht haben, dass sie „zu blöd sind, es nicht wissen, es sowieso nicht können…“, die sich aufgegeben haben und genau wissen, dass sie als Loser keine Berufschance haben? Hier sind nicht unterschiedliche Begabungen gefördert, sondern Kinderseelen misshandelt und Lebensperspektiven vorbestimmt worden.

Die Mängel des sortierenden – gegliederten Schulsystems sind leider empirisch belegbar:

  • zu hohe Sitzenbleiberquote, jedes 3. Kind!!! ist in seiner Schullaufbahn mindestens einmal nicht versetzt worden,
  • steigende Zahl an Schulschwänzern,
  • ca. 10% eines Jahrgangs erreichen keinen Schulabschluss,
  • mit der geringen Zahl von qualifizierten Schulabschlüssen rangieren wir auf Platz 25 von 27 untersuchten Staaten usw.

und dies, obwohl doch eine begabungsgerechte Sortierung der Schülerinnen und Schüler frühzeitig vorgenommen wurde.

Richtig ist:

Jedes Kind ist eine eigene Persönlichkeit mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen, die in den unterschiedlichsten Kombinationen auftreten. Die Individualität der Kinder lässt sich nicht in drei oder vier Schulformen einteilen. Diese Individualität muss von Beginn an über die gesamte Schulzeit und nicht nur in der Krippe, in der Kindertagesstätte und in der Grundschule gefördert werden. Ein gutes Schulsystem achtet diese Individualität und unterlässt eine willkürliche und menschenverachtende Selektion der Kinder mit 10 Jahren.

Integrative Schulsysteme im Ausland haben bewiesen, dass unabhängig von ihrer Herkunft, die Kinder mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen gefordert und gefördert werden können, so dass sie in der Breite und in der Spitze bessere Leistungsergebnisse erzielen.

2. Der Mythos von leistungshomogenen Klassen

Behauptung:

Die Sortierung der Kinder ist angeblich auch nötig, weil die Leistungsschwachen überfordert und die –starken unterfordert würden. In entsprechend vorsortierten Klassen könne man einen gleichschrittigen Unterricht vornehmen, der die Kinder schneller die Bildungsziele erreichen lässt. Deswegen sind die Einführung größerer Klassen und G8 für die CDU auch kein Problem.

Die Erfahrungen zeigen, dass auch in jeder vorsortierten Klasse ein gleichschrittiger Unterricht einige Kinder überfordert, andere wiederum unterfordert. 25000 Sitzenbleiber und das Abschulen hunderter niedersächsischer Kinder in jedem Jahr ist eine schallende Ohrfeige für die traditionelle Schulstruktur und für diesen tradierten Unterricht.

Richtig ist:

Lernen ist in leistungsgemischten Klassen nicht nur möglich sondern auch erfolgreich. Die Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim erhielt den deutschen Schulpreis 2007. In ihr werden die Kinder individuell und ganzheitlich gefördert, ohne dass ein durchschnittliches Lerntempo und ein vorbestimmter Lernerfolg als einheitlicher Maßstab angelegt werden. Weltweit, aber auch in Deutschland sind Unterrichts- und Lernstrategien entwickelt und erfolgreich durchgeführt worden, die belegen, das erfolgreiches Lernen in leistungsgemischten Klassen möglich ist. Warum schneiden die deutschen integrativen Einheits-Grundschulen im internationalen Vergleich besser ab als die weiterführenden gegliederten Schulen?

Wir müssen weg von der fächerorientierten Unterrichtsschule hin zur individuellen Lernschule, die sich um den Lernprozess jedes einzelnen Kindes kümmert und systematisch selbst gesteuertes Lernen fördert.

3. Die Legende von der Durchlässigkeit im Schulsystem

Behauptung:

Die Anhänger des dreigliedrigen Schulsystems verweisen immer auf die Möglichkeit, dass die Kinder in den folgenden Schuljahren immer noch in die höhere Schulform aufsteigen könnten. Die so genannten „Spätentwickler“ hätten später immer noch die Möglichkeit, einen höheren Schulabschluss anzustreben, wenn sie mit 10 Jahren noch nicht so weit waren wie die höhere Schulform es verlangte.

Richtig ist:

Nur wenige Kinder schaffen es, in eine höhere Schulform aufzusteigen und dies hat natürlich seine Gründe. Entgegen der Behauptung von CDU Bildungspolitikern sind die Rahmenrichtlinien der einzelnen Schulformen nicht aufeinander abgestimmt. Bereits in den ersten beiden Jahren sind die Lehrpläne der einzelnen Fächer zwischen den Schulformen derart unterschiedlich, dass ein Aufstieg in die nächst höhere Schulform nur in Ausnahmefällen durchgeführt wird. Dagegen werden jedes Jahr hunderte Kinder, die Probleme machen oder haben, abgeschult.

4. Die Legende von der Bedeutungslosigkeit der Schulstruktur

Behauptung 1:

Nachdem in internationalen Studien die oben genannten Mythen als solche entlarvt worden sind, behaupten die Anhänger des gegliederten Schulsystems, die Schulstruktur habe keine Bedeutung für die Qualität eines Schulsystems. Es gäbe auch Einheitsschulsysteme mit schwachem Leistungsniveau und gegliederte Schulsysteme mit starkem. Wenn man sich mit Schellenländern und/oder unterentwickelten Ländern vergleicht, ist das teilweise genauso richtig wie irreführend und falsch. Die Studien belegen immer wieder, dass früh sortierende Schulsysteme die Chancenungleichheit verschärft, der Schulerfolg von der Herkunft der Kinder abhängig ist und dass gleichzeitig die Kinder im gegliederten Schulsystem unterdurchschnittliche Leistungsergebnisse erzielen.

Richtig ist:

Die internationalen Studien zeigen darüber hinaus immer wieder, dass nur integrierte Schulsysteme gute Leistungsergebnisse und gute Chancengleichheitswerte hervorbringen. Schülerorientierte und individualisierte Lernprozesse sind nur denkbar und erfolgreich in einer Schule, in der jedes Kind willkommen ist, Anerkennung findet und nicht herabgesetzt und zurückgelassen wird. In früh sortierenden und gegliederten Schulsystemen ist dies kaum umsetzbar, wenn Kinder, die definierte Durchschnittsleistungen zu und in einem definierten Zeitraum nicht erbringen auf andere, mindere Schulformen abgeschoben werden (können). „Du bist zu dumm für diese Schulform“ hat nicht nur beschämende Wirkungen auf die abgeschulten Kinder, sondern auch auf die, die (noch) bleiben dürfen.

Behauptung 2:

Weiterhin wird behauptet, dass guter Unterricht nicht von der Schulform, sondern von der Qualität der Lehrkräfte abhängt. Jede/r kennt „gute und schlechte“ Lehrkräfte, weil jede/r sie in der Schule selbst erfahren hat. Abgesehen von der Grundschule unterrichteten diese Lehrkräfte im gegliederten Schulsystem in zu großen und zu vielen Klassen und meist auf sich allein gestellt, in dem Fächerziele und nicht Schüler im Vordergrund stehen und in dem es die Möglichkeit gibt, Kinder mit Problemen sitzen lassen und/oder abschulen lassen kann.

Richtig ist:

Der Unterricht wird und kann sich erst grundlegend ändern, wenn alle Lehrkräfte wissen, dass kein Kind herabgestuft oder abgeschult werden darf, dass jedes Kind Anerkennung braucht und gerade in seinem Lernprozess finden muss…

Andere Länder arbeiten daran bereits seit Jahrzehnten und haben dafür auch die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen:

  • Ganztagsschule, die den Namen auch verdient und nicht nur Ausweitung des Pflichtunterrichts auf den Nachmittag ohne Betreuungspersonal,
  • Fachpersonal, die die individualisierten Lernprozesse unterstützen,
  • Kleinere Klassenstärken, die darüber hinaus flexiblere Unterrichtsmethoden in den vorhandenen begrenzten Klassenräumen ermöglichen.
  • Eine an der veränderten Schulphilosophie angepasste Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte u.v.m.

All dies wird nicht von heute auf morgen erreichbar sein, wie gesagt, andere Länder haben dafür Jahrzehnte benötigt und entwickeln sich immer noch weiter. Niedersachsen muss nun endlich auch anfangen diesen Weg zu beschreiten - das geht nur mit der SPD!